Weltwirtschaftsforum 2022

Die Zukunft der Arbeit: ATOSS CEO Andreas F.J. Obereder im Interview.

Davos 2022

New Work ist ein Begriff, der in letzter Zeit recht inflationär verwendet wird. Und wir wissen, dass es über nette Büros mit bequemen Sofas und Tischtennisplatten oder Remote-Arbeit hinausgeht. Wie würden Sie die Zukunft der Arbeit definieren? 

Andreas Obereder: New Work steht für mich für eine bessere Balance zwischen den Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Sie stellt die Mitarbeitenden in den Mittelpunkt und fragt: "Was können wir als Arbeitgeber in unserer Arbeitsweise besser machen, um die bestmöglichen Talente anzuziehen und zu halten?" 

Remote-Arbeit oder schöne Büros mit einem Obstkorb allein reichen nicht aus. Denn das betrifft nur die Schreibtischarbeiter. Erfolgreiche Unternehmen achten darauf, die gesamte Belegschaft zu betrachten, auch die Frontline Workers, die ihre Arbeit nicht im Büro, sondern am Fließband, an der Kasse, am Krankenhausbett oder ähnlichem verrichten. Schicke Co-Working-Spaces werden ihnen nicht helfen - aber ein gutes Workforce Management Tool schon.

Wie trägt digitales Workforce Management dazu bei, Arbeitsorganisationen fit für die Zukunft zu machen? Und profitieren Arbeitnehmer und Unternehmen gleichermaßen davon?

Obereder: Ich gebe Ihnen ein einfaches Beispiel. Stellen Sie sich ein großes Einzelhandelsgeschäft vor, in dem Dutzende, wenn nicht Hunderte von Mitarbeitenden pro Filiale beschäftigt sind. Wir alle wissen aus eigener Erfahrung, dass der Kundenverkehr in einem Geschäft sehr unterschiedlich ist. An einem Wochenende oder in den Abendstunden ist es voll, an einem Wochentag morgens ist es leer. Eine gute Workforce Management Lösung sorgt dafür, dass Ihre Mitarbeitenden dann arbeiten, wenn sie am meisten gebraucht werden. 

Sie stellt auch sicher, dass nur Personen, die für die Kasse geschult sind, dort auch eingesetzt werden. Sie sorgt dafür, dass leichte und schwere Schichten gleichmäßig auf die Mitarbeitenden verteilt werden, um Fairness zu schaffen. Ein gutes Tool bindet die Belegschaft in diesen Prozess ein. Es fragt nach Wunschdiensten, informiert über die neuesten Dienstplaninformationen früh genug im Voraus und gibt den Mitarbeitenden die Möglichkeit, untereinander Schichten zu tauschen, um ihr Arbeitsleben besser mit ihrem Privatleben zu vereinbaren. Dies ist ein komplexer und kontinuierlicher Prozess, auch weil Sie ständig sicherstellen müssen, dass alles mit oft Hunderten von Regeln, Vorschriften und Arbeitsgesetzen übereinstimmt.  

Ihre Vision ist es also, das Zusammenspiel von Wirtschaftlichkeit und Menschlichkeit zu revolutionieren? 

Obereder: Ja, unsere Vision lautet: Wir gestalten den Umbruch der Arbeitswelt zum Vorteil von Unternehmen, Mitarbeitenden und Gesellschaft. Wir ermöglichen kreativer, intelligenter und humaner zu arbeiten und revolutionieren dadurch das Zusammenspiel von Wirtschaftlichkeit mit Menschlichkeit. Und diese Vision leitet uns seit mehr als 30 Jahren.
 

Zitat Andreas Obereder

Der Fachkräftemangel wird weiter zunehmen und vielen Unternehmen das Leben noch schwerer machen. Gleichsam steigt der Bedarf an Flexibilität und auch die Komplexität des Workforce Managements.

Andreas F.J. Obereder
CEO und Gründer, ATOSS

Ich verstehe, dass Zusammenhalt, Teamgeist, gemeinsame Kreativität, ein selbstbestimmter Arbeitsablauf für die Mitarbeitenden wichtig ist – aber wie schafft man beides: die Zufriedenheit der Belegschaft zu erhalten und gleichzeitig eine kundenorientierte Arbeitsweise umzusetzen?

Obereder: Ich glaube nicht, dass man zwischen beidem balancieren sollte. Im Gegenteil, sie gehen Hand in Hand. Eine positive Mitarbeitererfahrung korreliert mit der Effizienz, Kreativität und Produktivität. Das wiederum hat den gleichen Effekt auf die Kunden. Zufriedene Belegschaften schaffen zufriedene Kunden. 

Die Fähigkeit, Transformationsprozesse zu durchlaufen, ist wohl die wichtigste Voraussetzung für erfolgreiche Unternehmen in der Zukunft. Wie gehen Sie an Arbeitsorganisationen heran, die Veränderungen skeptisch oder ängstlich gegenüberstehen, um neue Strukturen zu schaffen, in denen Lernen und Innovationen möglich sind?

Obereder: Der Veränderungsbedarf und die Geschwindigkeit des Wandels werden weiter zunehmen. Organisationen, die nicht offen für Veränderungen sind, werden bald nicht mehr existieren. Kommen wir zurück auf das Beispiel mit dem Einzelhandelsgeschäft. Stellen Sie sich ein Unternehmen vor, das der geforderten Flexibilität gerecht wird. Es sind immer genügend Mitarbeitende im Geschäft – aber nie zu viele. Menschen mit den richtigen Fähigkeiten. Mitarbeitende zu den richtigen Kosten. Menschen, die mit ihrem Arbeitsleben zufrieden sind, weil es ihr Privatleben respektiert.

Und dann stellen Sie sich ein Einzelhandelsgeschäft der alten Schule mit festen Arbeitszeiten vor, ohne die Möglichkeit, dass Mitarbeitende ihren Dienstplan beeinflussen können. Lange Kassenschlangen in Stoßzeiten wegen Unterbesetzung, gelangweilte Mitarbeitende in ruhigen Zeiten wegen Überbesetzung. Was glauben Sie, wer wird überleben und Marktanteile gewinnen?

Wenn die Attraktivität eines Unternehmens der Schlüssel zum Erfolg und zu Wettbewerbsvorteilen im "War for Talents" ist – was muss in diesem Bereich getan werden? Wie spät sind wir in Deutschland oder Europa im Vergleich zum Rest der Welt dran?

Obereder: Das Wichtigste ist, dass die Unternehmen erkennen, was auf sie zukommt. Der Fachkräftemangel wird nicht verschwinden. Hinzu kommt, dass die jüngeren Generationen Y und Z andere Anforderungen an die Unternehmen stellen als früher. Sie erwarten ein digitales Erlebnis im Unternehmen und haben hohe Ansprüche an ihre Work-Life-Balance. Wer bei der Gewinnung von Fachkräften erfolgreich sein will, muss Flexibilität bieten. Die Mitarbeitenden wollen selbst entscheiden oder zumindest mitbestimmen, wann sie arbeiten und wo sie arbeiten. Und ja, andere europäische Länder sind schon weiter als Deutschland. 

Wir haben es im Moment mit mehreren Krisen zu tun, der Klimawandel ist wahrscheinlich die dringendste. Wie tragen Ihre Lösungen zur Nachhaltigkeit und zum Umweltschutz bei?

Obereder: Unsere Lösung trägt dazu bei, Prozesse effizienter und effektiver zu gestalten. Wir nehmen viel Ballast aus den Prozessen unserer Kunden, was in den meisten Fällen zu einer besseren Nutzung der Ressourcen führt. Das kann vom Ersetzen papierbasierter Prozesse durch eine digitale Version über die Senkung des Energieverbrauchs durch die Verlagerung von Lösungen in die Cloud bis hin zur Ermöglichung von Fahrgemeinschaften durch die Anpassung des Dienstplans reichen.

Wie sieht Ihr Ausblick für die nächsten zwei bis fünf Jahre aus? 

Obereder: Zunächst einmal hoffe ich wirklich, dass wir alle in einer friedlicheren Welt leben werden. Bei den eher geschäftsbezogenen Themen werden wir eine Fortsetzung und Beschleunigung der bereits heute sichtbaren Trends sehen: Digitalisierung von HR-Prozessen, Umzug in die Cloud – fast jede neue Workforce Management Lösung wird cloudbasiert sein, eher in zwei als in fünf Jahren. Der Fachkräftemangel wird weiter zunehmen und vielen Unternehmen das Leben noch schwerer machen. Gleichsam steigt der Bedarf an Flexibilität und auch die Komplexität des Workforce Managements. Ebenso wird der Druck, die Mitarbeitenden effizient und fair zu managen, zunehmen. Dies mag zwar bedrohlich klingen, aber ich bin auch optimistisch, dass Unternehmen intelligente und innovative Lösungen für das Management ihrer Workforce finden werden.